Im Pariser Klimaabkommen von 2015 einigte sich die Staatengemeinschaft darauf, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C, möglichst jedoch auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Gemeint ist damit der Anstieg der globalen oberflächennahen Lufttemperatur, betrachtet in einem Mittelungszeitraum von jeweils 20 Jahren. Der letzte Weltklimabericht des IPCC erwartete das Erreichen der 1,5 °C zwischen 2030 und 2035. Klimaforscher Gottfried Kirchengast vom Wegener Center und Institut für Physik der Universität Graz muss diese Einschätzung nun korrigieren: „Unsere neuen Berechnungen ergeben, dass wir diese Grenze bereits 2028 – mit einer Schwankungsbreite von plus/minus zwei Jahren – überschreiten werden. Der von uns entwickelte Referenzdatensatz zeigt den globalen Temperaturanstieg mit bisher unerreichter Zuverlässigkeit und erlaubt uns daher erstmals auch eine Bewertungsskala vorzuschlagen, um die Einhaltung oder das Verfehlen der Pariser Klimaziele zu überprüfen“, unterstreicht der Wissenschaftler.
Referenzstandard für die globale Erwärmung
Im Bereich der Ozeane wird für das herkömmliche Monitoring der globalen Erwärmung nicht die Lufttemperatur über dem Wasserspiegel, sondern die Temperatur der obersten Meter des Meerwassers herangezogen, die direkt mit Messbojen aufgezeichnet wird. Daraus ergibt sich eine Ungenauigkeit, die bisher nicht korrigierbar war. Den Forschenden der Uni Graz ist dies nun gelungen. Auf Basis der besten verfügbaren Datenquellen internationaler Klimazentren haben sie einen neuen Referenzdatensatz berechnet. Er umfasst die Zeit von 1850 bis 2024, ergänzt um Vorhersagen bis 2034 und Szenarien bis 2050. „Unsere Daten zeigen eine um sechs Prozent stärkere Zunahme der globalen oberflächennahen Lufttemperatur, als vom derzeitigen Monitoring ausgewiesen“, so Kirchengast. „Dabei können wir den menschengemachten Temperaturanstieg von speziellen Klimaphänomenen wie El Niño und anderen natürlichen Schwankungen unterscheiden. Außerdem ist es möglich, die Mitteltemperatur eines laufenden Jahres bereits ab August vorherzusagen“, ergänzt der Mitautor der Publikation, Moritz Pichler vom Wegener Center.
Compliance-Grundlage für das Pariser Klimaabkommen
Auf Basis des zuverlässigen Monitorings der globalen Erwärmung schlagen die Forschenden eine vierstufige Bewertungsskala vor, um das Erreichen oder Verfehlen der Pariser Klimaziele auch quantitativ zu messen. „Damit schaffen wir eine ganz neue Compliance-Grundlage für die politische und rechtliche Umsetzung des Abkommens“, erklärt Kirchengast. Er sieht Potenzial, dass die World Meteorological Organization, das IPCC und die Staatengemeinschaft den Vorschlag als offizielle Berechnungsmethode aufgreifen. „Es ist wichtig, Klarheit auf dem Weg zu den Pariser Klimazielen zu schaffen, damit die Politik und wir alle wissen, wo wir tatsächlich stehen und was nötig ist, um die Ziele einzuhalten“, betont der Forscher und schlägt in Ergänzung zum 1,5 °C-Ziel vor, die bisher unscharfe Rahmenformulierung „deutlich unter 2 °C“ mit „unter 1,7 °C“ festzulegen. „Es ist höchste Zeit, diesen völkerrechtlich verbindlichen Zielen zur Begrenzung der globalen Erwärmung echte Mess- und Überprüfbarkeit zu verleihen, um dem dringend notwendigen Klimaschutz eine allgemein gültige klimaphysikalische Basis zu geben“, so Kirchengast abschließend.
Publikation:
Gottfried Kirchengast & Moritz Pichler (2025): A traceable global warming record and clarity for the 1.5 °C and well-below-2 °C goals. Communications Earth & Environment, 2 June 2025, DOI: 10.1038/s43247-025-02368-0
https://www.nature.com/articles/s43247-025-02368-0
Die Forschungen sind Teil der Profilbereichs Climate Change Graz der Universität Graz.
Der neue Referenzdatensatz und weitere Schlüsseldaten zum Klimawandel sind über das Webportal Graz Climate Change Indicators – ClimateTracer frei zugänglich und weltweit verfügbar.